
86 weitere Asylsuchende zu erwarten: weiterer Wohnraum benötigt
Kommunen sehen sich bei der Aufnahme geflüchteter Menschen an der Belastungsgrenze. Sie drängen auf mehr Unterstützung, vor allem vom Bund und fordern eine neue Strategie, bevor es zu einer dauerhaften Überforderung kommt.
Auch Jörn Keller, Bürgermeister der Samtgemeinde Sittensen, warnt davor: „Die Kapazitäten sind endlich. Wir wollen den Menschen eine gute Bleibeperspektive bieten. Geflüchtete sollen menschenwürdige Bedingungen bekommen. Nicht nur ein Dach über dem Kopf, sondern auch vernünftige Integrationsangebote. Das kann nicht gewährleistet werden, wenn die Kommunen überlastet sind. Für eine gelungene Integration sind zunächst Sprachkurse wichtig und dann ein ausreichendes Personalnetz aus Sozialarbeitern und weiteren Integrationshelfern."
Bis September sind in der Samtgemeinde 86 weitere Asylsuchende unterzubringen. Laut Keller können „bestenfalls" 40 Personen im Bestand untergebracht werden. Daher gehen der dringende Aufruf und die Bitte an Wohnungseigentümer und -eigentümerinnen, sich zu melden, sofern geeigneter Miet-Wohnraum zur Verfügung gestellt werden könnte.
Derzeit verfügt die Samtgemeinde zur Unterbringung von Geflüchteten über 40 sowohl angemietete als auch erworbene Immobilien – in Sittensen und in Mitgliedsgemeinden. Aktuell leben hier insgesamt 215 Menschen, darunter 93 aus der Ukraine. „Wir sind potenziell ausgelastet, was die Unterkünfte angeht. Finden wir weder in Sittensen noch in den Dörfern weiteren Wohnraum, müssen wir samtgemeindeweit Flächen für Mobilbauten prüfen. Zu weit entfernt von Sittensen dürfen sie jedoch nicht sein, damit die Menschen den Bördeort zu Fuß, mit dem Fahrrad oder den Ostesprinter erreichen können. Für die Beschaffungskosten muss zunächst die Kommune aufkommen", erläutert Keller.
Auf die Frage, ob sich die Lage am Wohnungsmarkt durch die Flüchtlingssituation verschärft, räumt der Verwaltungschef ein, dass der hiesige Wohnungsmarkt angespannt ist und sich das Angebot verknappt. Sieht er diese Belastung mit gesellschaftlichem Sprengstoff verbunden? „Kritische Stimmen werden lauter. Obwohl wir hier relativ wenig Konflikte verzeichnen und unsere Menschen mit Migrationshintergrund allgemein motiviert sind, Deutsch zu lernen", weiß Keller.
Besteht die Gefahr, dass die Akzeptanz in der Bevölkerung durch die einseitige Belastung mehr verloren geht? „Wenn die Anzahl derer, die kommen, zu groß wird, schon. Es muss eine andere Struktur her, auch was eine angemessene und faire Flüchtlingsverteilung angeht. Bund und Land stehen in der Pflicht, und zwar alle Verantwortlichen parteiübergreifend. Nur Geld allein hilft nicht weiter."
Keller richtet den Blick auch auf die Kinder. Dabei geht's um Schul- und Kitaplätze. Auch in diesen Bereichen ist eine Überlastung sichtbar. Einer gelungenen Integration stehen Lehrermangel und zu wenig Personal in den Kitas entgegen. „Erzieherinnen und Erzieher sowie Lehrerinnen und Lehrer in unseren Einrichtungen leisten schon sehr viel. Aber auch sie kommen an ihre Grenzen. Kinder kommen in Kitas und in Schulen, ohne ein Wort Deutsch zu sprechen, können sich daher kaum mitteilen. Der Schlüssel für Integration sind Sprachkurse, aber dafür bestehen lange Wartzeiten. Ich würde zentrale Kurse für Schulkinder begrüßen, denn kreisweit stehen alle Schulen vor dem Problem. Das Kursangebot Deutsch als Zweitsprache an den Schulen reicht oft nicht aus, da es auch an Personal mangelt."
Auch die zuständigen Mitarbeitenden der Samtgemeinde im Ordnungs- und Meldeamt sind auf dem Gebiet der Flüchtlingsarbeit zusätzlich gefordert. „Ungeachtet des Aufenthaltsstatus fahren wir für jede Person das volle Programm. Inzwischen haben wir zwei Vollzeitstellen in der Sozialarbeit besetzt. Auch der Bauhof ist bei der Unterbringung und Herrichtung des Wohnraumes immer mit im Einsatz. Die zusätzliche Belastung aller Beteiligten hört nicht auf, denn die Zuteilung wird weitergehen. Es wird immer Flucht geben in der Welt, darum muss man grundsätzlich am System arbeiten", gibt Keller zu verstehen.
Was die finanzielle Belastung angeht, werden Kosten für angemieteten Wohnraum und Energie, die der Samtgemeinde entstehen, vom Sozialamt des Landkreises Rotenburg/Wümme erstattet. Nach einem Rechtskreiswechsel, wenn also ein Asylgesuch in Deutschland positiv beschieden wurde, beziehen die anerkannten Flüchtlinge ihre finanziellen Zuwendungen vom Jobcenter. (hm)